die raum

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2022 0051 åse eg:
drei bis fünf überlegungen
und eine reihe beobachtungen
bezüglich der fließenden grenze
zwischen kultur und natur –
teil 2

march 7 — april 24, 2022
viewable 24/7

open from sunday, march 6, 16 h



Natürliche Größen
(alle lebenden Wesen sind Leben und Tod unterworfen)

Dies ist die zweite von zwei Ausstellungen. Ursprünglich war geplant, vier Untersuchungsreisen zu unternehmen – Winter, Frühling, Sommer, Herbst – und mit einer Ausstellung abzuschließen. In der Zeit von der ersten Reise zu dieser zweiten und letzten Ausstellung, hat sich in der menschlichen Welt eine Pandemie ausgebreitet, hat mehrmals abgenommen und wieder zugenommen, und in dieser Zeit sind meine Eltern gestorben.

Im Februar 2020 nahm ich den Bus von Kopenhagen nach Berlin, um hier meine Beobachtungen von Flora und Fauna in der Umgebung von die raum zu beginnen. Am selben Tag erfuhr mein Vater, dass er nicht mehr lange zu leben hätte. Noch gab es keine Coronarestriktionen und keine Pandemie, die Krankheit gehörte zu Südostasien. In den hohen Pappeln des Mauerparks saßen Stare.

Im März kam der erste Lockdown in Dänemark. Als er angekündigt wurde, fuhr ich zu meinen Eltern, bis die Schließungen in Kraft traten. Danach durfte die Familie sie nicht besuchen. Erst als wir Anfang April alle gerufen wurden, weil mein Vater im Sterben lag.

Allgemeine Schließungen, Kontakt- und Reisebeschränkungen, Testpflicht, Masken, Treffen im Freien, Abstandsregeln, all das bedeutete, dass mein nächster Streifzug durch die Gegend am Mauerpark und rund um die raum erst im September stattfinden konnte. Da war die Asche meines Vaters ins Fahrwasser vor ihrem Haus gestreut worden. Ich hoffe, die Grundstoffe seiner Asche werden in den Aufbau anderer lebender Organismen eingehen. Fürs Erste dürfte sie ein Teil der Geologie geworden sein.

Anfang September herrschte in Berlin ein mildes und sommerliches Wetter, und das gesammelte Material reichte für eine Ausstellung. Aber im Vergleich zum ursprünglichen Plan fehlten Frühling und Herbst, es fehlten Nachtigall, blühende Wiesenpflanzen, Bäume mit gelben und roten Blättern, Aufbau, Zerfall, Umwandlung. Deshalb wurden es zwei Ausstellungen. Die erste im Februar 2021, als es nach dem Lockdown im Dezember wieder möglich geworden war, nach Berlin zu fahren.

Die dritte Untersuchungsreise war im Mai. Mein Sammeln brachte den Gesang der Nachtigall ein vermischt mit Geräuschen der Menschen im warmen Dunkel des Mauerparks. Blumen, Farben, Grün. Ausgetretene Pfade im Gras. Krähen und Elstern, die sich über Abfallkörbe hermachen und Pizzakartons und andere Essensverpackungen für ihr Vogelfest plündern. Eine Begegnung von Kultur und Natur.

Im Juni und Juli war meine Mutter einige Male im Krankenhaus. Ein alter verbrauchter Körper, nicht eigentlich eine Krankheit, aber sie war müde geworden. Jetzt möchte ich eigentlich gerne sterben, sagte sie. Es verging ein Monat, in dem sie nicht aus dem Bett kam. Eine Woche, bevor sie starb, fragte ich sie, was sie am nächsten Tag vorhabe. Nach einer Weile antwortete sie: Weißt du was, morgen würde ich gern ins Wasser, was meinst du?

Im Oktober streute ich ihre Asche ins Meer. Die Asche bestand aus leichtem, feinem Staub, der sich im Wasser wie Rauch verteilte und mit der Strömung wegtrieb, und etwas schwererem, sandartigem Knochenmaterial, das auf den Grund sank und sich auflösen wird, wenn die Wellen Sand und Steine aneinanderscheuern und es fein mahlen.

Anfang November unternahm ich meine vierte und letzte Reise. Gelbe, goldbraune und rote Bäume – eine Farbdichte in grauer, feuchter Luft. Die Stare versammelten sich plappernd in den hohen Pappeln des Mauerparks. Irgendwann dachte ich, sie machten Flugübungen und trainierten ihre spektakulären Schwarmbewegungen, bis ich den Sperber entdeckte, der sie in Aufruhr versetzte. Unter den Bäumen lag eine dicke Schicht aus Blättern verschiedenster Formen und Farben. Der Zerfall und die Umwandlung in Humus hatte begonnen.

Die Installation in die raum besteht aus:
Poster mit dem Birkenhain über dem Gleimtunnel (hintere Wand)
Hörbilder mit Vögeln in Bäumen und Büschen (auf dem iPad am Fenster)
Holzschnitte von Blättern 1:1 (auf dem Boden stehend)
Fotos von Pflanzen, Blumen und Insekten (stehend)
Gesammelte getrocknete Pflanzen und Blätter (in Haufen)
Text (auf Tafeln)
Karte des Mauerparks mit den Fundstellen

keimen
sprießen
wachsen
treiben
knospen
aufspringen
blühen
befruchten
verblühen
Eier legen
brüten
schlüpfen
verpuppen
reifen
fallen
welken
altern
sterben
modern
verrotten
zerfallen
auflösen
umwandeln
Stuhlgang
Scheiße
Kot
Düngung
Kompost
Nährstoffe

Der Blattzyklus der Laubbäume wird durch Hormone geregelt. Das könnte uns helfen, einem Verständnis zwischen Mensch und Baum näherzukommen. Frau und Baum. Menstruationszyklus und Jahreszeitenzyklus.

Knospen haben sich bereits auf den Bäumen gebildet, wenn die Blätter fallen.

Große Tiere – in der Stadt ist der Mensch in der Regel das größte – treten Pflanzen nieder, bahnen sich Wege, zertrampeln das Gras. Tote Pflanzenteile liegen überall herum, ein totes Tier hingegen, geschweige denn einen toten Menschen sieht man seltener.

Eschen erblassen im Herbst von Grün zu Limettengrün und Hellgrün, diese hier befanden sich zwischen den beiden letzten Stadien, und es war gewissermaßen leuchtend, im Regen unter ihnen zu stehen.

Im Winter gibt es für die Tiere Büsche und kleine Bäume mit Beeren und Früchten. Eine Speisekammer. Wenn die Blätter fallen, bleiben farbenprächtige Früchte übrig – ein roter Busch, ein orange Baum, schwer behangen mit Kirschäpfeln.